The Deer – Krankheitserzählung als performativer Begegnungsort –

Fünfzehnter Juni Zweitausendachtzehn. „The Deer“ wurde der Name, eines Tumors, meines Tumors. Und auch nach überstandener erfolgreicher Operation erzähle, verändere, begleite ich die Geschichte des “ The Deer“ seitdem, nicht nur in meinem Körper, sondern auch darüber hinaus weiter in meiner Umgebung, meiner künstlerischen Tätigkeit und mit den Menschen, die mir nah sind. Ich finde immer wieder neue Erzählweisen, um „es“ zu benennen und mich mit ihm vertraut zu machen.

Die Zeit wird zu erzählter Zeit. Jeder Teil, jedes Kapitel der Wiederherstellung und Annäherung wird selbst etwas Neues, der Körper wird zum ganzheitlichen Resonanzraum und zu einer Haltung gegenüber einer anhaltenden Beziehungsarbeit nach Innen und Außen.

„The Deer“, mein Tumor, war damit geboren und wurde schließlich zum persönlichen und öffentlichen Begegnungsort.

Von meiner Erkrankung und der anschließenden künstlerischen Auseinandersetzung damit, ausgehend, beschäftigte ich mich zunehmend mit der Idee der Narration an sich und im Speziellen der illness narrative, der Krankheitserzählung.   Natürlicherweise begegnet uns Narration in jeder Art von Diskurs. In gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, philosophischen oder sozial, politische Diskursen. Und immer ist die Rede von der größeren Erzählung hinter und neben den Fakten. Immer öfter stellt man die Frage nach Stimme, nach Gehört-werden, Zuhören und Teilhaben.

Ich habe viel inneres Leben. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe wirklich nur inneres Leben. Es gibt auch eine Schale mit einer Reihe schnurgerader Einschusslöcher. Genähte Nester, aneinander gehängte Zuhause.

Das letztes Mal, das wir sprachen, war eine kleine Katastrophe.

Jetzt da bleiben müssen, nach dem Schuss. Mit Fingerspitzen am Flügel, am Klavier, nah an dem was ich werden könnte.

Warten bedeutete, Blutgefäße, die sich durch die Haut punktieren. Wie das vorne liegen im Bettkasten, wie das Öffnen der Tür. Musik hören, klassische Musik, neue Musik, schwanken an den Meridianen.

Und dabei dieses verrückte Drücken. Die Hand an der rechten Schulter, immer kurz davor sich abzusenken, kurz davor den nötigen Druck aufzubauen, die nötige Anziehungskraft. Eine Hand, die nichts will, nichts fragt, eine grauenvoll alltägliche Hand.

Selbst jetzt, dass du das Sterben fürchtest? Nein, das ist gelogen, Das Hinschleppen fürchtest Du noch mehr. In einer Haltebucht mit einem Wort das Du nicht kennst. Offensichtlich.

Der Wille wurde lebendig, wurde endlich ein Ding mit Größe und Gewicht. Der Wille wuchs, der Wille sich zu ändern fasste Form und Körpermasse. Physik erfüllte sich. Und dann, Überlagerungen. Ein schönes Geschepper und der Wille riss sich nicht länger zusammen.

Ein Wille der Knall wurde, ein Wunder, ein kindskopfgroßer Rums im Bauch.

Alles nur um den Willen einen Namen zu geben. Wer die Dinge beim Namen nennt, tötet die Welt.

Aus dem Augenwinkel. Und dann wurde der Rums entfernt, geschnitten, gerissen, gerupft; Salatblatt- und Unkraut Strategien. Das Beet zu jäten wurde Pionierstätigkeit. Das Feld neu zu bestellen, eine wieder kehrende Formel.

Über Stunden operiert, um zu retten. Als ob das Feld gerettet werden müsste. Und da, wie das Feld ein Bauch mit Haus wurde. Ein Nest, sich begraben, zu wärmen. Kein Reh wird auf einem Feld geboren. Es kann dort aufwachsen. Aber nicht doch.

Sagt man nur ‚Reh‘ ist das Thema erschöpft und die Welt wird nackt.

Das Reh ist eine Sache, um die man sich kümmern muss, daher bin ich die Tarnung. Dafür ist eine Mutter doch da.

Diese Zellen die sich nun zurücklehnten in den Boden, ins Bauchfeld. Weder Tier- noch Pflanzenzellen: Rehzellen.

Ein Blick genügt, damit offensichtlich wird, dass das Reh unmöglich existieren kann.

Es ist nötig, dass das Du nicht weißt, dass Du ein Reh behaust. Sonst würdest Du Dich retten wollen und das Reh verlieren.

Wir geben den Dingen ihre Namen. Rufen wir die Sache bei dem falschen Namen, fliegt uns alles um die Ohren. Oder bleibt still und schwindet, wird durchlässig.

Das Reh lebt fliehend, seiner Zeit voraus

Das Reh ist immer revolutionär. Es lebt in mir, damit es nicht weiß genannt werden kann. Es ist einfach weiß. Nicht damit es wehtut, aber wenn Menschen das Reh ‚Reh‘ nennen, sind sie bereit für das Leben zu sterben.

All meine lachhaften Waffen zu Boden geworfen, verstreut, verwandelt in Freudentränen. Wie Blähungen, die sich nicht den Weg bahnen und am Tor ganz still werden, später groß und entzündlich. Sorry about this.

Das Ungesagte findet trotzdem statt.

Den Körper als Einschuss zur Verfügung stellen und Zweisamkeit behaupten. Ich würde das gerne mögen, doch alles biegt sich irgendwann und wird zur Kugel.

Dieser alte Wunsch Schmerz üben zu wollen. Körperliches Stottern, Aussetzen, Ausgesetzt sein. Du wolltest nur herausfinden, wie sich das anfühlt.

Die Idee des Ausrichtens und Delle werden.

Ein Schattenkleid, das an den Füßen anfängt zu wachsen. Es wächst sich nach oben. Deckungsgleich. Delle bleiben.

Für die gleichen Augen schenke ich dir Nieren und Leber und auch ein wenig von dem Dörrobst was sich seit dem letzten Sommer in der Tasche trug. Fein säuberlich gereiht, nebeneinander und die Rehe sind gierig danach. Sie verwandeln sich in springende, etwas hinterlistige durcheinander geratene Schneider.

Sie rennen auch den Äpfeln hinterher.

Als ich den Apfel aß, saß meine Mutter im Gehäuse tot auf der Bank und trug die Augen eines Rehs. Kurz darauf nahm mein Vater eine Abkürzung und kam barfuß in meinen Mund

Mir scheint meine Mutter verwechselt etwas. Als ich lachte, hat sie mitgeweint.

Indem Du mich um nichts batest, batest Du zu viel. Von mir forderst Du Mensch zu sein, von Dir forderst Du da zu sein.

-Platz-Buch- by
VestAndPage (de/it)

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